Da liest man mal ein paar tage nicht mit, und schon ist die Diskussion um einige Seiten(!) länger …
Aber mal ernsthaft: Niemand, der in der glücklichen Lage ist mit Noten was anfangen zu können, sollte diejenigen niedermachen, die das nie gelernt haben. Ebensowenig sollte jemand, der in der glücklichen Lage ist, mit Noten was anfangen zu können (ich wiederhole mich) auf die Frage, ob es Tabs denn nicht auch tun, guten Gewissens mit „ja“ antworten.
Ich bin möglicherweise dadurch ein wenig privilegiert, dass ich in meiner fortgeschrittenen Kindheit umfangreichen konventionellen Musikunterricht hatte (Klavier und Gesang durch alle vier Stimmlagen, da habe ich nichts ausgelassen). Damit war natürlich zwangsläufig der Umgang mit Noten verbunden, so dass ich bis heute (an die 50 Jahre später) nicht verlernt habe, Noten zu lesen und … seit Notationssoftware zur Verfügung steht … auch leserlich zu schreiben. Diese Fähigkeit erlernt zu haben ist nicht mein Verdienst, sondern eher das Verdienst meiner Eltern, die durch meine Pubertät durch einfach nicht lockergelassen haben. Es war damals extrem lästig, heute bin ich dankbar dafür, und ich fühle mich auch dafür verantwortlich, das nicht mehr verkümmern zu lassen.
Ich würde aber gerne versuchen, die Diskussion um einen neuen Gesichtspunkt zu erweitern: Es gibt musikalische Kontexte, in denen es ohne halbwegs belastbare Notenkenntnisse einfach nicht geht. Das ist insbesondere überall dort, wo es auf die einigermaßen werkgetreue Wiedergabe eines Repertoires angeht, das nicht zwangsläufig das eigene ist. Dort braucht man die notenlesenden Musiker. Dann gibt es noch Kontexte, in denen es darauf ankommt, mit wachen Ohren, intuitivem Verständnis für das, was um einen herum vorgeht, gutem Gedächtnis und einer Überdosis Anpassungsvermögen Musik aus dem Ärmel zu schütteln … dort brauchst du nicht die intellektuellen, sondern die instinktiven Musiker, auch bekannt als Musikanten.
Nun ist es allerdings so, dass nichts den Musiker daran hindert, auch Musikant zu sein, wogegen es umgekehrt erheblich schwieriger ist, sich zu behaupten. Mir steht gerade kein mir besser bekanntes Beispiel zur Verfügung als ich selber. Wie gesagt, ich kann Noten lesen und schreiben. Wenn die Stücke nicht zu kompliziert sind spiele ich auch mal vom Blatt, wobei ich mich aber alles andere als wohl und sicher fühle. Trotzdem besteht meine musikalische Hauptbeschäftigung eigentlich darin, nach besterMusikantenmanier nicht das zu spielen, was da auf dem Blatt steht, sonder das, was da eigentlich stehen sollte, wenn der Komponist/Arrangeur/MD oder was auch immer gewusst hätte, wie Bass geht. Viel lieber spiele ich tatsächlich aus dem Bauch heraus, viel lieber versuche ich, adhoc das zu finden und zu spielen, was dem Stück am besten tut. Dass ich damit die Mitspieler auch mal in den Wahnsinn treibe ("Was macht er denn jetzt schon wieder?") nehme ich in Kauf, wenn am Ende des Tages ein vernünftiges Ergebnis rauskommt.
Was ich damit sagen will: Man kann musikalisch nur das aus dem Ärmel schütteln, was man vorher hineingetan hat, sei es durch jahrelanges Musikantentum oder aber durch notenbasiertes Musikerdasein. Zugegebenermaßen: Der Bass ist ein Instrument, das mit relativ geringem Theorie- und Übungseinsatz schon einigermaßen vorzeigbare Resultate erzeugt, aber sowohl die Mitspieler als auch das Publikum merken sehr schnell, ob da jemand aus dem Vollen oder aus dem Leeren schöpft, und ob das Wasser, mit dem wir ja alle bloß kochen, sauber und klar oder trüb und brackig ist.
Zurück zu Tabs vs. Noten: Die Noten haben meiner Erfahrung nach eine ungleich breitere Einsetzbarkeit, weil sie eben so gut wie alle Aspekte des musikalischen Inhalts wiedergeben können (auch wenn es natürlich Dinge gibt, die man auch mit eurem viel Aufwand nicht wirklich aufschreiben kann, vor allem im hochinterpretativen Bereich). Tabs dagegen sind extrem beschränkt und zeigen nur, welche Saite in welchem Bund gedrückt werden soll … dabei ist doch gerade der Prozess des Umsetzens von Noten auf das Griffbrett (wie lege ich mir diese Linie zurecht?) der eigentliche Lernprozess. Und ebenso, wie man in den Tabs mit ein wenig Übung plötzlich beginnt, Licks und Phrasen (in der Literatur wären das dann Wörter und Sätze, oder?) zu erkennen, findet man die auch in der Notation, nur eben viel deutlicher und unmissverständlicher.
Zum Abschluss noch eine Frage an die Tabs-Nutzer: Wie macht Ihr das eigentlich, wenn ihr irgendwelche Parts transkribiert? Dazu müsstet ihr sie doch zuerst mal spielen können, um dann die Fingersätze vom Hals auf das Tab-Blatt zu übertragen, oder? Ab er wenn ich es schon spielen kann, warum sollte ich dann noch festhalten, wie ich es spiele? Das ist mir nicht wirklich klar.