Zur Eingangsfrage: Ich sehe das fast philosophisch. Der Weg ist das Ziel. Ziel ist hierbei der perfekte Take, der es aber nie wird. Mich stört am Ende auch immer irgendwas, selbst wenn es nicht direkt unsauber oder gar falsch gespielt ist, kommt oft er Gedanke: Da hätte ich vielleicht lieber x oder y machen sollen, die Note/Pause nen Tacken zu lang oder zu kurz, das Fill war zuviel oder öde, zu wenig Energie, zu voraussehbar...
Als Pino den fertigen Mix von Paul Youngs "Wherever I lay my hat" gehört hat, dachte er: "Mist, warum haben die mich so nach vorn gemischt, Jeder kann hören was ich da spiele, ich kriege nie wieder nen anderen Job!". Der Rest ist Musikgeschichte.
Die Selbstwahrnehmung und was andere empfinden, kann also sehr auseinandergehen. Und ich glaube, dass diese Einstellung nie fertig zu sein, immer noch was verbessern zu können wichtige Inspiration und Motivation ist. Eigentlich ist das Mindset also die Grundlage fürs Lernen. In jungen Jahren achtet man dabei noch auf offensichtliches. Hab ich überhaupt den richtigen Ton getroffen? Unsauberes Timing, Notenlänge? Mitschwingende Saiten? Später, wenn man das Im Griff hat, achtet man auf feinere details. Groove, Pocket, Tonauswahl, Songdienlichkeit, Mikrotiming, Sound, Energie, Emotion. Man geht immer mehr ins Detail und ist man damit fertig, findet man neue, noch feinere Details, Kriterien, an denen man arbeiten kann. Man jammert also immer, nur eben auf immer höheren Niveau. Und man richtet den Fokus zunehmend auf kaum mehr objektiv messbare, weil subjektive Kriterien, Ausdruck, Energie, Emotion. Dann denkt man: geil, der wars! Und dann kommt der Produzent und sagt: da vielleicht etwas mehr und dort etwas weniger. Er hat vielleicht einfach ne andere Idee vom Song. Spätestens da merkt man: Man ist nie fertig!
Insofern: Ab einem gewissen Punkt loslassen, sich zugestehen, dass man gerade einen nach seinen derzeitigen Möglichkeiten sehr guten Take hingelegt hat. Und sich auf die Meinung anderer verlassen, denen man vertraut. Und vor allem auch mal Zeit vergehen lassen. Direkt nach dem Einspielen hat man noch frische Erinnerungen. An das Gefühl während des Einspielens der Bridge, des Fills usw. Man wartet quasi beim Abhören auf die Fehler, die man beim Einspielen bemerkt hat. Lass mal 2 Jahre ins Land gehen und höre den Mix dann nochmal. Manches fällt dann gar nicht mehr so störend auf, sofern es kein echter, objektiver Fehler war. Oder höre es dir zigmal an und "gewöhne" dich an den vermeintlichen Fehler. 2 Jahre später findest du den vielleicht sogar cool, weil iwie anders/fresh.
