Was Charakter ist - ich weiss es nicht. Und umso mehr ich darüber nachdenke, umso weniger macht das Wort, der Begriff oder das Konzept Sinn. Charakterlos könnte ich noch schwammig mit beliebig oder austauschbar halbwegs sinnvoll umschreiben, aber ich habe auch noch nie jemanden gesprochen, der mal so Hand aufs Herz, ad hoc oder auch nach Bedenkpause sagen konnte, was Charakter ist oder sein soll. Was es, und da wird es weit verzweigt, sein könnte, ja, aber das ist so ominös wie Schäfchenwolken und das ist einfach keine Grundlage.
Ibanez wird, denke ich je älter ich werde, gebasht, weil sie im Club der coolen Katzen im Block als austauschbar und überhaupt unwürdig gelten. Als Marke zu jung, zu industriell und ohne vorzeigbare Spieler aus der "einzig wahren Ecke" von damals als relativ zeitgleich elektrifizierte Musik und Schwarzweissfernsehen etabliert wurden. Für mich klingt das mittlerweile einfach so, dass Ibanez ein Imageproblem in der Gruppe der originalen alten Blueser und Rocker hat. Weil es absolut menschenunwürdig ist Carol Kaye mit einem modernen Instrument nachzuspielen, für alle, den bespielten Musiker, den spielenden Musiker, das Publikum und erst recht den damaligen Zeitgeist, den man ehren muss.
Es gibt Studiobesitzer und -Mischer, da gehst du als Bassist rein, die gucken dich kurz an und sagen dir dein Gerät steht da - und zeigen auf einen Preci mit Flats und B15. Die meinen das ernst. Die verstehen da null Spass. Diese Einstellung und Geisteshaltung ist scheinbar untrennbar mit ihrer Persönlichkeit, ihrer Seele verbunden und alles andere wäre eine persönliche Beleidigung ihrer gesamten Lebensleistung. Selbst für schnelle, unbedeutende Demoaufnahmen, mit denen wir dann zu Emergenza-vor-Vorrunden gefahren sind um Spass zu haben und natürlich rauszufliegen weil andere viel besser sind und/oder mehr Leute kennen. Am besten noch Nutzungsgebühr abdrücken müssen und dafür dankbar sein sollen, dass ich endlich richtiges Equipment nutzen darf.
Ich liebe meinen Vater über alles, er ist der klügste Mensch den ich kenne, ich diskutiere mit ihm über alles - aber nicht über Musik. Alles nach Beatles, Led Zep, Deep Purple und Queen hat in seiner Musikwelt keine Existenzberechtigung mehr, hehe. Wenn ich bei meinen Eltern im Garten beim Grillen John Coltrane anmache, kriegt er Krebs, wenn ich die göttliche Aziza Mustafazadeh anmache, werde ich sofort auf den Grill geworfen. Andere Welten. Einfach andere Welten. Mit wenig Verständnis füreinander. Aber wir können uns noch auf Highway Star oder Purple Haze einigen, also werde ich noch nicht enterbt.
Als die ersten BTBs rauskamen, das war so plusminus 2000, hab ich das in der Werbung gesehen, hat mir gefallen, der Preis war heiss, also bin ich in den Laden und hab das Ding gespielt. Lass mich lügen, das war wohl ein blauer 405er mit Wölkchenahornfurnier. Der hat mir gefallen. Schönes Design, tolle Haptik. Habe den am Amp gespielt und die B-Saite war um Welten besser, als alles was ich vorher gespielt hatte. Verkäufer kam, hat mir den madig gemacht und dafür Fender schmackhaft. Fender war preislich nicht drin, also kaufte ich den nicht, kaufte aber auch den BTB nicht, weil ich im guten Glauben auf den Experten voll in seiner Aura stand und der BTB kein gutes Instrument sein konnte. Er hat sich quasi selbst ins Bein geschossen, oder vielleicht seinem Chef damit einen reingewürgt, aber ich spielte halt weiter meine Krücke zuhause und kämpfte mit ihrer Kopflastigkeit auf der Bühne. Das war völlig unnötig, und es war auch blöd. Und ich bin lange auf dem Trip geblieben, war ja nicht nur der Verkäufer, sondern noch viele andere, die gedankenlos nachplapperten, was irgendwer irgendwann irgendwo als Ideal in die Welt gesetzt hat was sein darf und was nicht. Gedankenlos ist deswegen so tragisch, weil das wie ein Schneeball ist, der rollt und alle mitnimmt, aber die, die gleich überrollt werden, sich doch tatsächlich freuen, dass sie gleich mitgenommen werden und dann endlich dazugehören. Und in diesem Schneeball reden sie alle miteinander, erzählen jahrelang immer das selbe, und wenn man es nur häufig genug wiederholt, dann glaubt man das. Hätte ich bloss damals gewusst was ich heute weiss, und nicht was wir damals "alle" "wussten".
Wunschdenken, Gruppendynamik, Selbstkonditionierung, Filterbubble. In der Reihenfolge. Deswegen, aus diesen metaphysischen Gründen, ist für einige vintage Fender alles und Ibanez damit charakterlos. Deswegen stehen Precis und B15 im Studio. Aber das ist witzlos und wird zum Glück immer weniger, weil jüngere Musiker sich weit weniger an den alten Tugenden orientieren, keine wirklichen Schnittmengen mit den Klassikern haben und überhaupt keine Berührungsängste mehr mit den modernen Antiklassikern haben. Auch wird heute mehr Musik produziert, die eine grundsätzlich andere Klangästhetik benötigt. Periphery mit Preci ist für mich nicht vorstellbar. Und das ist auch gut so. Ich liebe meinen 686er SC BTB.
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