Verzeih, genau das ist doch aber der Punkt. Deutungshoheit über Begrifflichkeiten, genau darum geht es doch. Vokabular als Hebel für Selbstbestätigung, Selbstaufwertung und vermeintliche Über- und Unterlegenheit. Das sollte man ruhig so deutlich aussprechen, denn alles andere ist nur Verzierung auf genau diesem Kern.
Ja aber die Diskussionen um Begriffe wie sie hier in dem Thread gerade stattfinden, die führt zu nichts. In unserem Podiumstalk ging es um die Frage was einem innerlich mehr bedeutet, das Covern oder das Spielen eigener Musik. Die Frage nach der Bedeutung des Künstlertums ist dabei völlig zweitrangig. Man kann meiner Meinung nach sehr gut eigene Musik komponieren und trotzdem nicht Künstler dabei sein, oder würden sich
@Ens oder
@EPBBass als solche bezeichnen? Ich glaube einfach mal nein...
Anders sehe ich da z.B. unseren
@Mad Jazz Morales. Er selbst tut zwar immer leicht überheblich, ist aber in Wirklichkeit ein ganz Bescheidener und vernünftiger Kerl. Er würde jetzt selbst schreiben: "Na klar bin ich Künstler, willst auf die Fresse oder was?", meint das aber weder ernst noch irgendwie gewichtig sondern mit einer großen Portion Selbsthumor. Was er aber geschaffen hat mit Svenna&Morales und mit ihm selbst als Kunstfigur namens "MadJazzMorales", das ist für mich Künstlertum. Denn in meiner Wahrnehmung kenne ich den bürgerlichen Matthias Linke gar nicht - und das ist auch nicht wichtig. Ähnlich mag es sich mit einem Sting und dem Bürger Gordon Summer verhalten - im Unterschied zu MadJazz kann dieser aber wirklich Bass spielen und singen, der Herr Linke wiederum... naja lassen wir das...
Aber das alles kann und wird jeder auch anders sehen und das ist völlig ok. Am Ende liegt es sowieso im Auge des Betrachters wer wen als Künstler bezeichnet oder nicht. Wenn ich an der gesamten Thematik etwas anprangere dann ist es diese inflationäre Verwendung eines Begriffs, der eigentlich so etwas wie die Spitze des Eisbergs und die höchste und reinste Form der kreativen Selbstverwirklichung darstellen sollte. Da heute gefühlt aber jeder zweite sich selbst als Künstler bezeichnet oder von jemanden als Künstler bewertet wird, sind wir in der großen Trivialität der Kunst angekommen. Wohlgemerkt erhebe ich dabei keinen Anspruch auf die Deutungshoheit von Begriffen, sehe unseren Zeitgeist aber in eine sehr gefährliche Richtung abdriften was das Verständnis von künstlerischen Leistungen begrifft.
Übrigens habe ich deswegen auch große Hoffnungen in die Einflussnahme der KI bei diesem Thema. Wenn diese sich irgendwann so etabliert hat, dass geistige Routinearbeit (in der Bedeutung wie ihn David Richard Precht verwendet) vollständig von dieser übernommen wird, wird hoffentlich das wahre Gesicht der vielen selbst ernannten "Künstler" demaskiert und auch von einem breiterem Publikum erkannt. Wenn mir der Computer nämlich einen trivialen 3-Akkorde-Popsong so gut komponieren kann das die "Leistung" des Sternchen verblasst, trennt sich die Spreu vom Weizen. Dann kann sich nämlich keiner mehr Künstler nennen der nichts weiter tut als Reproduktion oder Interpretation bereits bekannter Parameter. Das wir aber gleichzeitig auch mit einer Flut von noch nicht bekannten Nachteilen konfrontiert werden, ist wohl die Schattenseite. Wissen tun wir es aber alle nicht...
In diesem Sinne gehe ich auch wieder Geräusche produzieren!
Grüße Hen
