Siehst Du: genau das ist der Unterschied zwischen einem guten Lehrer und einem Buch oder Online-Material.
Ein guter Lehrer wird Dir die Antwort geben, daß sein Ziel ist, jedem seiner Schüler technische Fähigkeiten zu vermitteln, die dessen individuelle Spielweise und Ziele ergonomisch unterstützen... das mögen manche gut machen und andere weniger gut - ein Online-Video wird Dir (wie allen anderen 50 000 Abonnenten auch) klar machen, daß ein abgeknicktes Handgelenk der Greifhand nicht gut ist, und daß Du das gefälligst bleiben lassen sollst... das war‘s dann aber auch schon: kontrollieren mußt Du Dich schon selbst, und das können die Wenigsten (wenn zum linken Handgelenk andere komplexe Abläufe dazukommen, auf die man gleichzeitig achten soll).
Bleiben wir bei dem Beispiel: ein guter Lehrer wird Dir erklären, warum ein abgeknicktes Handgelenk Deine Finger anatomisch in der Bewegung einschränkt - wenn Du allerdings ankommst und den Bass auf Knöchelhöhe hängen hast, weil Du in Deiner Metalband sonst spontan mit einem „Hello Kitty!“-Tattoo auf der Stirn bestraft wirst - dann wird wiederum ein guter Lehrer versuchen, die Einschränkungen möglichst zu kompensieren - Dir allerdings auch erklären, daß Du so unmöglich Charlie Parker-Soli in vierfacher Geschwindigkeit spielen können wirst... sollte dies zu Deinen Zielen gehören, dann muss man halt darüber reden (und gemeinsam vielleicht schonmal wenigstens ein „Hello Kitty! - die Strapsversion“-Motiv suchen).
Ein „schwebender“ Kleiner Finger der Greifhand ist grundsätzlich schonmal falsch... wenn Deine Herausforderung aber darin besteht, in Deiner Trashmetal-Band genau einen Note pro Song in 16tel-Quintolen bei 185 bpm im Drei-Finger-Wechselschlag zu spielen, dann ist mir als Lehrer Dein Kleiner Finger wumpe, und wir konzentrieren uns auf andere Techniken... trotzdem werde ich Dir erklären, was die Konsequenzen für Deine zukünftige Entwicklung sind, wenn wir das so lassen... und dann kannst Du selbst entscheiden - komm dann aber halt nicht angeschissen, daß Du nächste Woche zum Geburtstag Deiner Omma die Toccata und Fuge in d-moll mit verbundenen Aufen tappen möchtest, während Dein linkes Hosenbein in Flammen steht...
„Falsch“ gibt es nicht - aber „unpassend“... und die Entscheidung, ob etwas für Dich oder nicht kannst Du tatsächlich als Autodidakt schwer treffen - weil Du halt nicht die komplette Palette an Optionen kennst...
Die meisten Autodidakten, die ich kenne haben sich halt mühsam die Kopie eine Rush-Nummer draufgeschafft, die mehr oder weniger gut klingt, und denken dann, daß alle, die zu einem Basslehrer rennen, komplette Pfeifen sind... dabei können die meisten noch nicht einmal hören, daß andere Saiten lustig mitschwingen - weil man sich halt auf das konzentriert, was man spielt, und nicht auf Artefakte...
Ich bleib dabei: ein guter Lehrer hat noch Keinem geschadet... (das sage ich ohne eigenes Interesse - ich habe früher unterrichtet und einige Erfahrung als Lehrer wie auch als Schüler - allerdings unterrichte ich seit fast 15 Jahren nicht mehr).
Noch etwas (nachdem meine Pferdedressur-Vergleiche hier anscheinend nicht fliegen): Ernst Jandl hatte Abitur (bzw. Matura) und ein abgeschlossenes Germanistik-Studium... denkt mal drüber nach...
