heut

[Sentient6]

Genau darum geht es mir. Man kann den Wissenschaftlern nicht die gesamte Verantwortung aufhalsen. Niemand aus dem Team des Manhattan-Projekts hat gesagt "Hey, lass uns mal so ne Bombe auf Hiroshima werfen". Mir kam die ganze Geschichte sehr perfide eingefädelt vor...

Ich kann zu dem Thema übrigens folgendes Buch empfehlen:
http://www.amazon.de/Heller-tausend-Sonnen-Schicksal-Atomforscher/dp/3453040198

Das stellt sehr gut die Entwicklung der ersten Kernwaffen aus Sicht der damaligen Wissenschaftler dar.

 

[Rail Groove]

da zitier ich jetzt mal wikipedia, weil so treffend und relativ kurz:
copy-paste-anfang
Im Frühjahr 1942 forschte Oppenheimer zusammen mit Robert Serber von der Universität Illinois am Problem der Neutronendiffusion (wie sich Neutronen bei der Kettenreaktion verhalten) und der Hydrodynamik (wie sich die durch die Kettenreaktion hervorgerufene Explosion verhalten kann). Um seine Forschungsarbeit und die allgemeine Theorie der Spaltungsreaktionen begutachten zu lassen, veranstaltete Oppenheimer im Juni 1942 an der Universität von Kalifornien in Berkeley einen Forschungssommer. Die Teilnehmer Hans Bethe, John H. van Vleck, Edward Teller, Felix Bloch, Richard C. Tolman und Emil Konopinski kamen dabei zu dem Schluss, dass eine Bombe auf Basis der Kernspaltung möglich sei ...
copy/paste-ende

also aufgehört haben die nach dieser erkenntnis offenbar auch nicht.

 

[Sentient6]

Warum sollten sie auch? Grundlagenforschung darf man nicht einfach aufgeben. Auch nicht, wenn Erkenntnisse missbraucht werden könnten. Die Aussage "Eine Bombe ist möglich" ist einfach nur äquivalent zu "Es ist möglich, eine Kettenreaktion zu erzeugen, die sehr viel Energie freisetzt". Das ist zunächst mal eine potentiell wichtige Erkenntnis, die einem viele Informationen über das Wesen der Natur liefern kann - eben Grundlagenforschung. Und wenn diese Forschung (das weiß ich nicht) schon vor dem Hintergrund der Bombe getätigt wurde, dann heißt "Eine Bombe ist möglich" auch "Eine Bombe ist für die Deutschen möglich". Immerhin war 1942 schon mitten im Krieg...

 

[Dr_Pug]

Nicht zu vergessen: der Ingenieur/Wissenschaftler möchte forschen, Probleme angehen und lösen, ob nun aus egoistischer Motivation (der Name, der letztlich mit einer Erfindung in Verbindung gebracht wird), oder aus Erkenntnissucht, meinetwegen auch aus (oft vorgeschobenem) Altruismus - s. Wernher von Barun "I aimed at the stars" (mit der nicht von ihm stammenden ironischen Ergänzung: "but sometimes I hit London").
Wenn die Forschung nun vom Staate/Militär oder wem auch immer mit einem unendlichen Budget finanziert wird - das ist doch wie im Schlaraffenland.
Dennoch - mit der Feststellung "die Bombe ist möglich" wurde letztlich ein Wettrennen (wenn auch, nach aktueller Quellenlage fast nur einseitig) iniziiert. Und da Hitler über ballistische Systeme (Rakete A4) verfügte, bestand in den Köpfen natürlich sogar die Gefahr des Angriffs des Mutterlandes USA. V.a. wenn mann davon ausgeht, daß mit einem einzigen Sprengkopf die Ausslöschung einer ganzen Stadt möglich wäre. Also nachvollziehen kann ich die Motivation sehr gut.

 

[Sentient6]

Dazu Richard Feynman, einer der begnadetsten und humorvollsten Physiker:

"Physics is like sex: sure, it may give some practical results, but that's not why we do it."

Es geht um die Freude am verstehen, um den Erkenntnisgewinn. Sonst würde es heute keine Forscher mehr geben, die die Arbeitsbedingungen auf sich nehmen, die zur Zeit üblich sind...

 

[Dr_Pug]

...und das wird uns ins Verderben führen [):]

Toller Roman diesbezüglich, aus den 50er, Miller: Lobgesang auf Leibowitz - die Menscheit 2000 Jahre nach dem Atomschlag begeht die gleichen Fehler erneut. Und das nur, weil ein paar Mönche Reste der menschlichen Wissenschaft bewahrt haben, bis diese Fragmente von "Erkenntnissuchenen" wiederbelebt wurden. []

 

[Sentient6]

Ja, hat uns die letzten 200 Jahre ja auch schon großartig ins Verderben geführt. Ich mein, ich würde auch lieber früher leben. Die medizinischen Standards waren besser, damit auch die Lebenserwartung höher, das Leben konfortabler, die Menschen aufgeklärter und die politischen Situationen stabiler... Wenn man sich vorstellt, das könne so weitergehen, nicht auszudenken. [ooo]

 

[Dr_Pug]

Genau, und ein Krieg war nicht mehr als Schnick Schnack Schnuck. []
Na, mal im ernst, wieviel Prozent der Weltbevölkerung kommen denn in den Genuß eben jener Errungenschaften? Und wäre es überhaupt (logistisch oder aus Sicht der Ressourcen welcher Art auch immer) möglich, diese auf die anderen auszuweiten? Und was bringt eine überdimensionierte Lebenserwartung den Nachkommen, außer oller Kamellen von früher?

 

[Sentient6]

Zu wenig. Aber das hat politische Gründe. War es besser, als dritte Welt Länder mit einfacheren Mitteln kolonialisiert und versklavt wurden?

Zu den Ressourcen: Hochtechnologien sind nicht unbedingt verschwenderischer, Energieffizienz ist doch ein riesiges Forschungsfeld. Der ganze verschwenderische Umgang mit Ressourcen basiert doch zB auf uralten Techniken wie der Verbrennung von fossilen Rohstoffen. Wenn es dafür nicht so eine riesige Lobby gäbe wären wir dahingehend schon viel weiter. Aber das erreichen wir nicht mit einer Einstellung von Forschung und Weiterentwicklung, im Gegenteil.

Reichlich zynisch. Sagst du es auch, wenn es darum geht, dass einer deiner Verwandten mit 50 oder 60 Jahren ne neue Niere oder n neues Herz braucht? Sozialverträgliches Frühableben, juhu!

 

[Dr_Pug]

Der eine stirbt mit 60 im Kreis seiner Lieben, der andere mit 90 in einem kahlen, weißen Raum, allein.

 

[JimmyZee]

Der Dritte mit knapp 20 einsam und allein auf der Landstrasse, der Nächste mit 105 betreut im Hospiz.

Willst du uns sagen, daß du Angst hast? Das mußt du nicht, solange du Freunde hast!

 

[Sentient6]

Heißt das, du bist der Meinung, man sollte nicht eingreifen, wenn jemandem mit 60 die Pumpe aufgibt? Und was hat das Alter damit zu tun, wie viele Freunde und Verwandte man hat?

 

[Dr_Pug]

"Heißt das, du bist der Meinung, man sollte nicht eingreifen, wenn jemandem mit 60 die Pumpe aufgibt?"

Das ist ja nun Unfug, zwischen den Zeilen lesen, bitte. Es geht letztlich um ein angebrachtes Verhältnis zwischen Technikkritik und Technikeuphorie/Fortschrittsgläubigkeit. Diese Pole muß man mit bedacht Hinterfragen und austarieren.
Was Du vermittelst ist kompromißlose Technikeuphorie, ich halte dagegen, und muß dann leider überspitzen. Die Frage im Allgemeinen ist doch die nach dem Telos . Das ist ein Geistesgeschichtliches Phänomen das wohl in jeder bedeutsamen Zukunftserwartung, von Aristoteles über Kant hin zum Kommunismus DIE Maxime ist. Aber gehen wir doch mal in uns und schauen zurück auf die Geschichte - sollte man da nicht einen gewissen Abstand zu jenem gewinnen? Was Du willst, ist scheinbar die komplett befriedete, explizit durch Technik und Fortschritt befriedete Menschheit. Sorry, träum weiter. Das ist ja löblich, der Pharmazeut, der der Ratte irgend ein Krebs unterjubelt tut dies ja auch nur zum Wohle der Menschheit, ne?

 

[Sentient6]

Was ich erreichen will, ist Respekt und Anerkennung für die Forscher, die sich durch ein langes Studium kämpfen, hart arbeiten, nicht allzu viel Geld verdienen und dann das Gefühl haben, sich für das was sie tun rechtfertigen zu müssen, während jeder jeden Tag selbstverständlich ihre Entwicklungen nutzt. Jetzt erklär mir mal, wie du eine bessere Zukunft ohne technischen Fortschritt schaffen willst? Und dein Satz

Zitat:Und was bringt eine überdimensionierte Lebenserwartung den Nachkommen, außer oller Kamellen von früher?

Ist ja wohl eindeutig.

Ich habe nie gesagt, das alle Technik, die erfunden wird auch eingesetzt werden soll, ich sage nur, dass man die Grundlagenforschung nicht beschneiden darf. Die wissenschaftliche Methode ist die einzige, die zuverlässig neue und wichtige Erkenntnisse liefert.

Zur Laborrattenpolemik: Glaubst du der Mediziner freut sich darüber und hätte nicht gerne ne Alternative (die es inzwischen btw schon gibt und die sicher noch weiterentwickelt wird)? Was ist mit dem Staatsoberhaupt, das zivile Städte bombadiert um den Krieg schneller zu beenden? Das das Leben der eigenen Soldaten gegen dem Anderer abwägt? Oder einfach nur dem Bauer, der den überzähligen Katzennachwuchs im Bach ersäuft?

Zu was in der Geschichte willst du Abstand gewinnen? Die Welt ist im Durchschnitt garantiert besser geworden, auch wenn gerne das Gegenteil vermittelt wird. Ich frag dich nochmal: Wie sieht deine Alternative aus? Was stellst du dem wissenschaftlichen Erkenntnis´gewinn gegenüber?

 

[Dr_Pug]

"Die Welt ist im Durchschnitt garantiert besser geworden"

- das möchte ich mal empirisch nahegebracht bekommen. Klar, mittels toller, neuester Technologien 6 Millionen Leute innerhalb von 12 Jahren durch den Schornstein zu schicken ist schon eine Glanzleistung. Du fragst mich nach der Zukunft? Nun, im Gegenteil zu manch Anderem fühle ich mich nicht zum Propheten berufen.

"Was ich erreichen will, ist Respekt und Anerkennung für die Forscher, die sich durch ein langes Studium kämpfen, hart arbeiten, nicht allzu viel Geld verdienen"

- dann bitte Respekt für die Geisteswissenschaften, deren Errungenschaften nicht von Militär und Großkonzern bezahlt werden.

Jaja, es sollte verboten werden einen Konnex zwischen Technikmißbrauch und den armen, darbenden Urhebern jener Technik zu ziehen. Aber bitte - jede Technik für jeden, also jedem Staat, jeder Interessengemeinschaft sein/ihr H-Bömbchen, das wäre mal fair.

 

[Sentient6]

Ok, beenden wir an der Stelle die Diskussion. Auf das Niveau von Nazivergleichen begebe ich mich echt nicht.

Ich habe übrigens an keiner Stelle die Geisteswissenschaften ausgenommen. Und dass sich Forscher Geldgeber suchen müssen, wenn der Staat lieber Manager und ihre maroden Banken, die das Geld aller verzocken, dick und rund füttert, ist irgendwie nachvollziehen... Wusstest du, dass allein das Geld, was die Hypo Real verschlungen hat genug wäre, um das gesamte Apolloprogramm zu finanzieren? Inflationsbereinigt.

Außerdem habe ich ausdrücklich geschrieben, dass NICHT jede Technik eingesetzt werden soll. Und ich habe auch nie gesagt, dass Wissenschaftler komplett aus der Verantwortung gezogen werden sollen. Das alles sind nichts als Unterstellungen und Strohmänner. Unter den Umständen bin ich raus.

 

[Dr_Pug]

Den NS auszuklammern gebietet sich weder moralisch noch historisch. Im Gegenteil, er stellt ein gutes Beispiel dar: das eines hochtechnologisierten Staates bei gleichzeitig ausgeschaltetem ethischen Bewußtsein (sehr moderne Erfindung). Womit wir wieder beim der reinen Wissenschaft, nicht der Ethik, verhafteten Wissenschaftler sind. Der NS ist doch nicht im luftleeren Raum entstanden. Wenn man ein Stück weiter denkt, dann sind die großen Autokratien des 20. Jhs., Faschismus, Francismus, etc, unmittelbar mit der Technologisierung, nennen wir es "Verfortschrittlichung" und allen begleiteten Umständen verhaftet/entsprungen. Und mit wieviel Leid haben diese die Menschheit überzogen, rein quantitativ in nie dagewesenem Ausmaß, das willst Du doch nicht bestreiten, oder? Und Du sagt mir, der Menschheit ginge es Schritt um Schritt besser. Woran mißt man das? An der Befindlichkeit? Ich mache es Dir einfach, nimm doch 'ne grobe Ziffer der im 20. Jahrhundert gewaltsam zu Tode gekommenen Menschen und vergleiche das mit den vorangegangenen Jahrhunderten.
Des weiteren glaubst Du doch nicht ernsthaft diesen Apologeten, die behaupten, den Hitler von der Bombe ferngehalten zu haben durch Forschung an der zivilen Nutzung der Nukleartechnik? Die weiße Weste zieht sich jeder gerne an (besonders wenn er Dreck am Stecken hat) und wenn es nur um eine Kleinigkeit wie dem Dienste am Gesamtwohl des Menschen geht. Aber lassen wir das von mir aus an dieser Stelle, soll ja kein Streit sondern ein Disput sein, räusper.

 

[Sentient6]

Du willst mir erzählen, es wäre keine Polemik, ausgerechnet die Massenvernichtung an Juden als Beispiel für neue Technologien heranzuziehen? Willst du mir sagen, dass der NS auf die Hochtechnologie zurückzuführen ist? Nicht auf die Wirren der Weimarer Rebublik? Nicht auf den ersten Weltkrieg und dem Gefühl der Demütigung der Deutschen (zB durch als ungerecht empfundene Reperationszahlungen)? Nicht auf den noch tief verwurzelten Kaiserkult? Nicht auf die Weltwirtschaftskrise? Nicht auf das Schaffen eines pseudoreligiösen Heilssystems durch Hitler? etc. Nein nein, die Technik wars!

Ach ja, wenn du schon Vergleiche anstellen willst: Dann Teil die Anzahl der Opfer durch die Gesamtzahl an Menschen..

Ich weiß, dass die Meinung angezweifelt wird. Aber wie erklärst du dir dann, dass in Deutschland keine Atombombe entwickelt wurde?

Nochmal: Ich spreche Wissenschaftler NICHT von aller Moral frei. Aber es sind Menschen wie du und ich. Der Mythos vom kalten Wissenschaftler ohne Ethik ist genau das. Ein Mythos.

 

[Dr_Pug]

Ach, hör doch auf, von Polemik zu reden, wenn Tatsachen ins Feld gehührt werden. Die Fakten die Du aufführst zur Genese des NS kann man doch nicht losgelöst kompletten historischen Kontext betrachten. Ja, der Kaiser war Technikfreak - was haben ihm seine tollen Spielzeugschiffchen eingebracht? Die Freundschaft der Briten nicht. Natürlich ist der NS auf Hochtechnologie zurückzuführen, die war sogar EXPLIZIT Propagandainstrument, Stichwort Implementierung des Wunsches nach einem eigenen PKW, damit wurden die Ratten gefangen, mann. Indoktrination des Volkes durch Massenmedien. Gigantomanie des "1000 jährigen Reiches", ohne hunderttausender williger Wissenschaftler und Ingenieure doch gar nicht ausdenkbar. Die sind doch abgegangen auf die Möglichkeit, mal nicht nur an Tieren experimentieren zu müssen, das kann man doch nicht abtun als unzeitgemäßen Vergleich. Und das ist nicht mal 100 Jahre her!

Na klar ist mir nicht entgangen, daß Du die Wissenschaft nicht frei spricht. Siehst es ja selbst ein, daß es "Menschen wie du und ich" sind. Also was reden wir hier eigentlich rum, der Mensch ist des Menschen EINZIGER Feind, damit ist doch klar, wieviel mehr oder weniger wert der Wissenschaftler gegenüber dem Bauern, dem Soldaten oder sonstwem ist. Der bessere Mensch ist er einfach nicht. Gut, daß wir uns nun einig sind.

 

[Sentient6]

Ich stelle Wissenschaftler nicht als bessere Menschen hin, sondern du als schlechtere. Das ist mein Problem. Niemand bezweifelt, dass es während der NS-Zeit Wissenschaftler gab, die sich wie Monster verhalten haben (Mengele etc.). Genau wie es Monster aus allen anderen sozialen Schichten gab. Es geht hier um Technik und Wissenschaft, nicht die Menschen die sie betreiben. Und die ist nichts böses an sich. Auch nicht, wenn sie von Menschen missbraucht wird. Klar richtet ein Maschinengewehr mehr Schaden an als ein Schwert, ist es deswegen böser? Du baust hier den Mythos auf, der reine Wissenschaftler hätte keine Ethik, und ein Wissenschaftler mit Ethik sei etwas besonderes. Das ist einfach nicht wahr. Es gibt ethisch gute und ethisch schlechte Forscher. Aber das was sie geleistet haben ermöglicht vielen Menschen ein besseres Leben - genauso wie es viele grausame Tötungsmethoden ermöglicht hat. Aber grade die modernen Kommunikationsmöglichkeiten erlauben es viel mehr Menschen als früher, ihren eigenen Kopf zu benutzen, sich eine eigene Meinung zu schaffen - Aufklärung eben. Und Aufklärung ist mE eben der einzige Weg, der ein gutes Miteinander ermöglicht.

Übrigens: Die von mir aufgezählten Punkte sollten doch nur alternativen bieten, die auch mitgeholfen haben zum NS-Regime zu führen. Die Reduzierung auf "Hochtechnologie" war einfach zu eindimensional.

Kannst du dich damit eher anfreunden?