Schritt zurück und trotzdem Spaß? Musik und Alltag

[lowend05]

Hi Zusammen,

Achtung es wird philosopisch:

Ich habe sehr viele Jahre auf einigermaßen hohem Niveau Musik gemacht, was allerdings auch bedeutete viel unterwegs zu sein und natürlich auch viel zu üben.

Mittlerweile habe ich ein "normales Leben (was definitiv gut ist!) mit Job, Beziehung etc.
Leider ist es super schwierig das mit der Musik zu vereinen und ich bin mittlerweile einfach nur noch ein bestenfalss duchschnittlciher Bassist. Wenn ich mir anhöre was ich früher draufhatte und das mit meinem jetzigen können vergleiche werde ich schon irgendwie traurig. Habe letztens eine Jaazzaushilfe gespielt, die ich früher mit links gemeistert hätte- nun war sie eher.... gerade so okay.

Kennt ihr das? Man fragt sich irgendwann ob es das alles noch bringt. Oder muss man einfach damit leben (was natürlich wahrscheinlich ist) Ich hatte nie Freude an reinen Spaßbands nur um rumzujammen und Bier zu trinken. Es sollte immer was richtiges bei rumkommen. Nur leider kriege ich es zeitlich kaum mehr gebacken. Wie seht ihr das?
Gruß
lowend05

 

[alice d.]

es gibt so etwas wie eine work-life-balance. da muß man einfach herausfinden, was das für einen bedeutet. diese zettelchen und metallstückchen mit den ganzen zahlen drauf sind irgendwie notwendig. aber ich lebe schon so lange letztlich unter der armutsgrenze... es gibt wichtigeres im leben.

 

[Cochise]

Für mich geht die Familie vor, auch wenn ich heute nicht mehr so viel üben kann wie früher.
Ich war bestimmt mit meinen Band nicht so viel unterwegs wie Du lowend05, aber alleine schon den Bass jeden Tag in die Hand zu nehmen fehlt mir schon.
Heute spiele ich in zwei Coverbands und setze mich nur noch hin und höre mir den Kram raus der gefordert wird.
Unser PR ist bei uns im Ort und fast alle kommen aus diesem Ort, da geht es schon mehr als nur um die Musik, was in zweiten Band wieder ganz anders ist.
Trotzdem komme ich gut klar damit und freu mich Woche für Woche auf die Probe um mal für ein Paar Stunden abzuschalten, bevor der positive Wahnsinn zu Hause weiter geht.

 

[Gast75378]

Ich habe nie auf hohem Niveau Musik gemacht... In der work live Balance nimmt der Job schon viel Zeit ein... Dann kommt die Familie. Da ich oft ins Krankenhaus muss, ist mir Zeit mit der Familie sehr wichtig. Dann kommt die Musik. Wobei es momentan schwierig ist Probentermine zu finden. Ich freue mich mit den Jungs Musik zu machen aber für mich persönlich gibt es andere Prioritäten.

 

[Ochsenblut]

The times they are a-changin'
Ich habe meine Bässe eine ganze Zeit - so ca. 5 Jahre - nicht mehr angefasst. Bandauflösung, Liebe, Kinder, Haus, der Beruf brachte Geld genug, Musik und Unterricht war unter finanziellen Gesichtpunkten nicht mehr nötig.
Aber die Kinder werden größer, der Job pendelt sich irgendwie auf ein erträgliches Maß ein und der Drang wieder auf die Bühne zu kommen vergeht nicht. Seit gut 10 Jahren bin ich wieder dabei, und mein Ehrgeiz ist es, jeden Tag besser zu werden. Deshalb nehme ich mir die nötige Zeit zum Üben und auch zum Proben mit meinen Band-Mates - denen es übrigens allen ähnlich geht. Aber ich brauche keine 50 Gigs mehr im Jahr, schon 25 finde ich stressig. Aber das ist das Schöne daran: Wir müssen nicht mehr alles spielen, wir können uns im gewissen Rahmen die Perlen rauspicken.

Also meine Empfehlung: Fingerchen schön gelenkig halten, Theorie und Noten lesen nicht verlernen und die Musik erstmal auf kleiner Flamme kochen aber am Leben halten. Wer weiß schon, was morgen kommt.

 

[X-Ray]

Hey Lowend05,

kann Boris Becker heute noch Spass am Tennisspielen haben?
Also ich würde sagen (ohne Boris zu kennen): wenn er dauernd damit hadert, nicht mehr so gut wie früher zu sein: ganz bestimmt nicht. Insofern ist Deine Frage eher eine psychologische, weniger eine philosophische.

Verständlich, dass der Vergleich mit dem früheren Leistungsvermögen Dich hinsichtlich des Musikmachens traurig macht. Gleichwohl deutest Du ja an, dass es Gründe gab, Dich auch anderen Bereichen Deines Lebens mehr zuzuwenden. Okay, eine wichtige Selbstwertquelle (überdurchschnittlich-gut-sein-in-etwas und damit verbundene Selbstbewertung und externe Bestätigung) sprudelt nicht mehr so kräftig, aber dafür gibt es nun Anderes... vieles ist eine Frage von wertgeleiteten Prioritäten.
Bestimmt schaffst Du es mit der Zeit, den Vergleich mit dem alten Level etwas mehr in den Hintergrund zu drängen und mehr das zu geniessen, was in der aktuellen Lebenssituation (musikalisch) möglich ist ... und zwischen Profi-Level und Spasstruppe mit viel Bier gibts ja noch ne Menge Zwischentöne. Ausserdem hat das Musikmachen ja nicht nur Glückspotential auf der Leistungsbewertungsschiene, sondern vor allem im Bandkontext auch etwas intrinsisch befriedigendes. Hey, da geht was zusammen, wir heben ab! Ja, Könnerschaft hilft da und ist auch schwer verzichtbar, aber nicht alles.

Den Rat von Ochsenblut finde ich sehr richtig. Steig nicht aus, bleib dabei, akzeptiere Frustphasen und Flauten (und mindere sie durch weniger Vergleiche mit Früher), die nächste Welle kommt ganz bestimmt!!

 

[Gast72603]

Kennt ihr das? Man fragt sich irgendwann ob es das alles noch bringt.

An den Punkt kommt vermutlich fast jeder, öfters mal in Leben.
Versuch so etwas möglichst emotionslos zu sehen, im Grunde schaut es doch so aus:
Vergangenheit ist gelaufen, was die Zukunft bringt weiß ich nicht.
Es interessiert niemanden was ich tue oder treibe und in spätestens 100 Jahren weiß niemand mehr das ich überhaupt existiert habe.
Das klingt vielleicht zumindest auf den ersten Blick etwas trostlos oder negativ, solche Gedanken können aber auch entlastend wirken.

Trotzalledem befriedigen langfristige Angelegenheiten auf Dauer mehr als kurzfristige, dazu gehört mit Sicherheit ein Instrument spielen

 

[lowend05]

Hi Kollegen
Vielen Dank für eure tollen und differenzierten Antworten. Das hilft mir wirklich!
Die Musik hat halt einen sehr hohen Stellenwert in meinem Leben, das mit der Balance muss ich echt lernen.
Meine Partnerin hat über viele Jahre fast immer am Wochenende allein dagesessen bzw mit Freunden etwas unternommen. Ich hatte halt Gigs. Auf Dauer auch nicht gut. Jetzt bin ich beruflich viel unterwegs, da kann nicht auch zusätzlich 40 Gigs spielen oder 4 mal pro Woche proben.
Alles kompliziert

Viele Grüße
Lowend05

 

[Mudskipper]

Ich kenne das nicht so extrem und nicht auf so einem Niveau wie bei Dir, aber ähnlich:

Von 1995-2005 habe ich recht viel Musik mit bis zu drei Bands mit eigenen Stücken und sehr verschiedenen Stilen gleichzeitig gemacht, entsprechend viel gespielt und "gut" bzw. routiniert gewesen. Dann kam ein großer musikalischer Durchhänger, die große Liebe gefunden, Umzug 300km weit weg und damit war ich komplett raus aus der Szene. Ab da war dann mal Hause rumdaddeln und ab und an mal eine offene Session angesagt - aber meine Fähigkeit sind da echt schon ziemlich eingepennt!
Meine Frau hat mich dann vor 6-7 Jahren motiviert wieder eine Band zu suchen und die aktuelle Konstellation ist nichts hochtrabendes und "nur" Cover - aber wild gemixt und nur nach eigenem Spaß ausgesucht und interpretiert. Das reicht für 3-4 Gigs im Jahr, regelmäßigen Spaß im Proberaum und einen super Ausgleich zum Alltagsstress.
Was "bedeutsames" musikalisch zu hinterlassen habe ich mir schon lange abgeschminkt. Meine "aktive" Zeit waren meine kompletten 20er, da wollte ich noch was reissen. Da passierten auch so Klassiker wie der versprochene Plattenvertrag, aus dem dann doch nichts wurde, coole Gigs im Ausland usw. Heute kann ich da ohne Wehmut auf eine tolle Zeit mit viel Musik und keine Kohle blicken.
Ab und an denke ich nur: Mensch, hätte ich damals das Budget für den Krempel gehabt, den ich hier heute stehen habe wäre das schon geil gewesen.

 

[5Bässer]

Ich kenne das alles aus eigener Erfahrung sehr gut. Ich versuche mein Niveau zu halten und punktuell weiter zu entwickeln und übe dazu gezielt. Ein Abend pro Woche bleibt reserviert für Proben, vor Gigs auch mal mehr.
Ohne Musik oder mit zu wenig bin ich im Job und Familie nicht mehr so leistungsfähig. Musik machen und der Kontakt zur Band gibt mir positive Kicks und inneren Ausgleich, worauf ich nicht verzichten kann... sie motiviert mich sogar zusätzlich, mich körperlich fit zu halten. Allerdings habe ich fast alle anderen Hobbies - außer Fotografie - dafür aufgegeben. ..

 

[Emmler]

Jetzt bin ich beruflich viel unterwegs, da kann nicht auch zusätzlich 40 Gigs spielen oder 4 mal pro Woche proben.

Jo, geht mir auch so. Ich hab nach dem Studium viele Jahre komplett aufgehört. Nach einem Umzug kannten mich neue Freunde gar nicht als Musiker. Vor 5 Jahren hat es mich wieder gejuckt und ich bin wieder mit neuem Spaß dabei. Das Üben ist effizienter, aber ohne Druck dahinter morgen etwas können zu müssen.

Inzwischen werden die Kinder größer und ich kann inzwischen schon einige (klassische) Jobs mit Kontrabass mitnehmen. Eine Probe, Konzert, fertig.

Eine feste Band mit wöchentlicher Probe ist nicht drin. Noch nicht. Manchmal nervt's mich, manchmal bin ich froh am freien Wochenende nicht noch einen Kirmes-Gig spielen zu müssen.

Aber ich übe weiter, und was das Equipment betrifft werde ich am Tag X nicht unvorbereitet sein!

Allerdings habe ich fast alle anderen Hobbies - außer Fotografie - aufgegeben. ..

Nach meinem Wiedereinstieg als Bassist ging das auf Kosten des Sports, irgendwo muss die Zeit ja herkommen. Bin dann jetzt auch 20 kg schwerer!

 

[Emmler]

Meine Frau hat mich dann vor 6-7 Jahren motiviert wieder eine Band zu suchen

Cool! Auf den Moment warte ich auch...

 

[Gast60969]

Ich kenne das, vor gut 20 Jahren war ich auch in 4 verschiedenen Formationen und auch div. Instrumenten unterwegs und überlegte sogar kurzzeitig das beruflich zu machen. Zum Glück habe ich das nicht. Ich hatte auch ein paar Jahre Auszeit und habe dann wieder angefangen, allerdings nur noch fokussiert auf den Bass. Ich sehe es mittlerweile nur noch als Hobby und Ausgleich und möchte auch gar keine 30 GIGS oder mehr im Jahr, dafür ist mir meine Familie viel zu wichtig. Klar hat das spielersiche Niveau darunter sehr gelitten, aber das ist ja auch normal, wenn man nicht mehr regelmäßig übt.
WIr proben einmal die Woche, nehmen gerade für uns eine CD auf und machen so 4-6 GIGS im Jahr und das reicht mir auch völlig aus. Wichtig war es eine Formation zu finden die musikalisch Spaß macht und Musiker zu finden, die zu mir passen. Das ist wunderbar gelungen, auch wenn das musikalische Niveau "überschaubar" ist. Trotzdem macht es einen Heidenspaß und ich möchte auch die Zeit nicht mehr zurückdrehen.

 

[Gast60969]

Cool! Auf den Moment warte ich auch...

Meine erste Frau stand "zwischen" meiner Musik, meine jetzige Frau hat mich auch motiviert wieder anzufangen, sie hat einfach gespürt, dass mir etwas fehlt. Sie hinterfragt auch nicht warum ich was kaufe, das sind auch Seiten die zu einer Traumfrau gehören, die ich gefunden habe.

 

[Kingpin]

Geht mir ganz änhlich.. mit 18, 19 wie ein Verrückter geübt, evtl. mit dem Ziel Bass zu studieren. Dann doch für das anderes entschieden und der Bass ist erstmal in den Hintergrund gerückt. Hatte trotzdem viele Jahr lang Spaß mit meiner Band, auch wenn das ein reines Spaßprojekt war. Haben es sogar irgendwie hinbekommen in Eigenregie ein Album aufzunehmen. Jetzt seit 2 Jahren bandlos glücklich. Ich mach mir da keinen Stress mehr, wenn ich zu Hause mal ein paar Stunden Zeit habe, freue ich mich mal wieder den Bass in die Hand zu nehmen und drauf los zu spielen. Manchmal komm ich aber auch mal ne Woche nicht dazu, das ist dann auch ok. Und früher oder später wird schon wieder Zeit und Lust für ne Band da sein, dann such ich mir wieder was.

 

[lowend05]

Ja auch wollte eigentlich Musuk studieren, bin aber froh dies nicht getan zu haben. Auch bin ich froh generell nicht (mehr) von der Musik leben zu müssen. Jeden Gig annehmen zu müssen, anstrengende Schüler, ständig Auditions muss ich nicht mehr haben.
Derzeit probe ich in verschiedenen Bands etwas 2-3 Mal in der Woche.
Das brauche ich zum Wohlbefinden
Das geht aber zulasten der Familie und ist nicht immer ganz "spannungsfrei"
Irgendwie habe ich dann auch häufig ein schlechtes Gewissen, dennoch ist da was in mir was mich dorthin treibt.

 

[Cochise]

Im Prinzip geht es uns allen gleich,jeder hat sein Päckchen, das er tragen muss.
Die einen sammeln Briefmarken andere gehen Woche für Woche ins Fußballstadion und wir machen Musik und ich hoffe für uns alle, das wir es alle noch lange machen können.

Mein Freund und ehemaliges Bandmitglied war es leider nicht gegönnt und musste diese Welt zu früh verlassen. Deshalb seit glücklich mit den Menschen die ihr liebt, auch wenn unser Hobby auch manchmal zu kurz kommt.

 

[igsman]

Ich denke auch dass man da seinem Inneren Trieben folgen und vertrauen muss. Wenn man ein Musik Freak ist und 5 mal die Woche raus muss um sich in irgendeiner Probe zu Befriedigung, dann braucht man eine Frau mit der das eben auch geht. So einfach ist das. Wenn es einen selber Samstags lieber auf die Couch zieht, ist man natürlich bei der Damenwahl flexibeler.
Ich möchte ab und an live spielen und das nötige (Proben, üben...) dazu tun was dazu nötig ist. Wenn möglich nicht ganz auf der Stelle stehen bleiben und ein Minimum an Entwicklung aufrecht erhalten.
Das gelingt mir mit ach und krach gerade so irgendwie. Damit bin ich ziemlich zufrieden und ausgeglichen. Mit all dem Band- und Familienstress bin ich definitiv ein zufriedenerer Mensch als noch vor 5 Jahren, als ich nichts von beiden hatte.
Vielleicht sollte man so eine Überbelastung nicht mit einem ausgefülltem Leben verwechseln.
Ein Leben ohne all solche Inhalte und Problemchen wäre sicher die größere Sorge.

 

[Gast68070]

Ich hab vor nem Vierteljahr etwa komplett
alles hingeschmissen.
Spiele auch nich daheim.
Und derzeit fehlt es mir nicht.
Es gibt anderes was in meiner
Prioliste einen anderen Stellenwert hat
mittlerweile.
Is das gut oder schlecht ?
Es is anders un derzeit das Richtige

 

[igsman]

Wenn du dich gut dabei fühlst ist es das beste was du tun konntest, glaube ich.